Tab-Taste zeigt Sprunglinks an. Enter aktiviert den ausgewählten Sprunglink und navigiert direkt zum entsprechenden Seitenbereich.

WCAG 2.2 Barrierefreiheit: 5 Änderungen, die Ihre Corporate-Site jetzt sofort braucht

30. Juli 20259 Min. Lesezeit
WCAG 2.2 Barrierefreiheit: 5 Änderungen, die Ihre Corporate-Site jetzt sofort braucht

Die digitale Barrierefreiheit ist längst kein Nice-to-have mehr, sondern eine geschäftskritische Anforderung. Mit der Veröffentlichung der WCAG 2.2 im Oktober 2023 haben sich die Standards für zugängliche Webinhalte weiterentwickelt und bringen neue Anforderungen mit sich, die Unternehmen zeitnah umsetzen sollten[1][2][3]. Diese neuen Richtlinien sind nicht nur rechtlich relevant, sondern eröffnen auch erhebliche Geschäftschancen durch die Erschließung neuer Zielgruppen.

Was macht WCAG 2.2 zur neuen Pflicht für Unternehmen?

Die Web Content Accessibility Guidelines 2.2 stellen eine bedeutende Weiterentwicklung der international anerkannten Barrierefreiheitsstandards dar. Anders als bei früheren Updates konzentriert sich WCAG 2.2 gezielt auf drei kritische Bereiche: die Bedürfnisse von Menschen mit kognitiven Einschränkungen, verbesserte Zugänglichkeit für Nutzer mit Sehbeeinträchtigungen und die optimierte Bedienbarkeit auf mobilen Endgeräten[3][4][5].

Diese Fokussierung ist kein Zufall. Aktuelle Studien zeigen, dass über 61 Millionen Erwachsene in den USA mit einer Behinderung leben – das entspricht jedem vierten Erwachsenen[6]. Weltweit erreicht diese Zahl über eine Milliarde Menschen. Für Unternehmen bedeutet dies ein enormes ungenutztes Marktpotenzial, das durch barrierefreie Websites erschlossen werden kann.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen verstärken diese Notwendigkeit zusätzlich. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das seit Juni 2025 in Deutschland gilt, und dem European Accessibility Act auf EU-Ebene sind Unternehmen verpflichtet, ihre digitalen Angebote zugänglich zu gestalten[7][8][9]. Die EN 301 549, die europäische Norm für digitale Barrierefreiheit, wird voraussichtlich in ihrer nächsten Version auf WCAG 2.2 verweisen und damit die neuen Standards rechtlich verankern[10].

Kostenlose Beratung sichern

Lassen Sie uns über Ihre Website-Barrierefreiheit sprechen

Jetzt Termin vereinbaren

Die fünf wichtigsten Änderungen für Corporate Websites

1. Fokus-Sichtbarkeit: Tastaturnavigation ohne Versteckspiel

Eine der fundamentalsten Neuerungen betrifft die Sichtbarkeit des Tastaturfokus. Das neue Erfolgskriterium 2.4.11 "Fokus nicht verdeckt (Minimum)" auf Konformitätsstufe AA stellt sicher, dass fokussierte Elemente niemals vollständig von anderen Inhalten überdeckt werden dürfen[1][2][11].

Diese Anforderung ist besonders relevant für moderne Corporate Websites, die häufig mit fixierten Headern, Cookie-Bannern oder Chat-Widgets arbeiten. Wenn ein Nutzer per Tastatur durch die Website navigiert und ein Link oder Button den Fokus erhält, muss dieser mindestens teilweise sichtbar bleiben. Praktisch bedeutet dies, dass Entwickler bei der Positionierung von überlagernden Elementen deutlich vorsichtiger vorgehen müssen.

Die Implementierung erfordert sowohl CSS-Anpassungen als auch JavaScript-Logik. Fixierte Elemente müssen so programmiert werden, dass sie sich automatisch ausblenden oder repositionieren, wenn sie fokussierte Inhalte verdecken würden. Cookie-Banner sollten beispielsweise eine Logik enthalten, die prüft, ob sie wichtige interaktive Elemente überlagern, und sich entsprechend anpassen.

2. Touch-Ziele: Größere Buttons für bessere Bedienbarkeit

Das Erfolgskriterium 2.5.8 "Zielgröße (Minimum)" definiert erstmals konkrete Mindestanforderungen für die Größe interaktiver Elemente. Alle klickbaren Bereiche müssen mindestens 24×24 CSS-Pixel groß sein oder ausreichenden Abstand zu benachbarten Zielen aufweisen[1][3][12].

Diese Anforderung hat weitreichende Auswirkungen auf das Interface-Design von Corporate Websites. Traditionelle Navigationselemente, die oft kompakt gestaltet werden, um mehr Inhalt auf der Seite unterzubringen, müssen überarbeitet werden. Besonders betroffen sind komplexe Menüstrukturen, Filteroptionen in E-Commerce-Bereichen und Social-Media-Icons.

Die praktische Umsetzung erfordert eine Überprüfung aller interaktiven Elemente der Website. Entwickler müssen sicherstellen, dass entweder die Mindestgröße erreicht wird oder durch strategische Platzierung ausreichende Abstände geschaffen werden. Diese Änderung kommt nicht nur Menschen mit motorischen Einschränkungen zugute, sondern verbessert die Bedienbarkeit für alle Nutzer, insbesondere auf mobilen Geräten.

3. Drag-and-Drop Alternativen: Inklusive Interaktionsmöglichkeiten

Das neue Kriterium 2.5.7 "Ziehbewegungen" stellt eine bedeutende Herausforderung für moderne Webinterfaces dar. Alle Funktionen, die eine Zieh- oder Wischbewegung erfordern, müssen durch alternative Bedienungsmöglichkeiten ergänzt werden[1][2][13].

Diese Anforderung betrifft zahlreiche gängige Interface-Elemente moderner Corporate Websites. Bildergalerien mit Wischfunktion, sortierbare Listen für Produktkategorien, interaktive Karten oder Slider für Preisbereiche müssen alle um alternative Bedienungsmöglichkeiten erweitert werden. Statt ausschließlich auf Drag-and-Drop zu setzen, sind zusätzliche Buttons, Dropdown-Menüs oder Tastaturkürzel erforderlich.

Die Implementierung verlangt ein Umdenken im Interface-Design. Entwickler müssen von Beginn an alternative Interaktionsmethoden mitdenken und diese nahtlos in das bestehende Design integrieren. Ein Bildslider sollte beispielsweise nicht nur per Wischgeste, sondern auch über Vor- und Zurück-Buttons sowie Tastatursteuerung bedienbar sein.

4. Konsistente Hilfestellung: Verlässliche Orientierung

Das Erfolgskriterium 3.2.6 "Konsistente Hilfe" auf Stufe A fordert, dass Hilfemechanismen auf allen Seiten einer Website in derselben relativen Reihenfolge angeordnet sind[1][2][14]. Dies umfasst Kontaktinformationen, Chat-Funktionen, FAQ-Links oder Hilfedokumentationen.

Diese scheinbar einfache Anforderung hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Informationsarchitektur von Corporate Websites. Unternehmen müssen ihre gesamte Seitenstruktur überprüfen und sicherstellen, dass Hilfeelemente konsistent positioniert sind. Ein Live-Chat-Button darf nicht auf der Startseite rechts unten, auf der Produktseite links oben und auf der Kontaktseite im Header stehen.

Die praktische Umsetzung erfordert die Entwicklung klarer Styleguides und Template-Systeme. Design-Teams müssen Standards definieren, wo Hilfeelemente platziert werden, und Entwickler müssen sicherstellen, dass diese Standards in allen Templates und Content-Management-Systemen eingehalten werden. Besonders wichtig ist dies für Menschen mit kognitiven Einschränkungen, die auf vorhersagbare Strukturen angewiesen sind.

5. Vereinfachte Authentifizierung: Weniger Hürden beim Login

Das neue Kriterium 3.3.8 "Barrierefreie Authentifizierung (Minimum)" revolutioniert die Gestaltung von Login-Prozessen. Authentifizierungsverfahren dürfen nicht mehr auf kognitive Funktionen wie das Merken von Passwörtern oder das Lösen von CAPTCHAs angewiesen sein, es sei denn, alternative Methoden werden angeboten[1][3][6].

Diese Anforderung betrifft praktisch alle Corporate Websites mit Nutzerkonten, Online-Shops oder geschützten Bereichen. Traditionelle Anmeldesysteme, die ausschließlich auf Benutzername und Passwort setzen, müssen erweitert werden. Biometrische Authentifizierung, Single Sign-On-Lösungen oder die Integration von Passwort-Managern werden zu wesentlichen Komponenten barrierefreier Websites.

Die technische Implementierung erfordert die Integration moderner Authentifizierungsstandards wie WebAuthn oder OAuth. Entwickler müssen Systeme schaffen, die verschiedene Anmeldeverfahren parallel unterstützen und Nutzern die Wahl lassen. Dies kommt nicht nur Menschen mit kognitiven Einschränkungen zugute, sondern verbessert auch die allgemeine Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit.

Geschäftliche Auswirkungen der WCAG 2.2-Implementierung

Die Umsetzung der WCAG 2.2-Standards bringt messbare geschäftliche Vorteile mit sich. Studien zeigen, dass barrierefreie Websites bis zu 20% höhere Conversion-Raten erzielen können[15]. Dies liegt nicht nur an der direkten Erschließung neuer Zielgruppen, sondern auch an der generell verbesserten Benutzerfreundlichkeit für alle Nutzer.

Suchmaschinenoptimierung erhält durch barrierefreie Gestaltung ebenfalls einen deutlichen Schub. Viele der WCAG 2.2-Anforderungen unterstützen gleichzeitig SEO-Ziele: Semantische HTML-Strukturen, aussagekräftige Alternativtexte und logische Navigationsstrukturen werden von Suchmaschinen positiv bewertet. Unternehmen berichten von bis zu 12% mehr organischem Traffic nach der Implementierung umfassender Barrierefreiheitsmaßnahmen[15].

Die rechtliche Risikominimierung stellt einen weiteren wichtigen Geschäftsfaktor dar. Während in den USA bereits tausende Klagen wegen unzugänglicher Websites geführt wurden, entwickelt sich auch in Europa ein entsprechendes Bewusstsein für die Rechtsdurchsetzung. Unternehmen, die proaktiv handeln, vermeiden sowohl rechtliche Risiken als auch potenzielle Reputationsschäden[16][17].

Strategische Implementierung für Unternehmen

Die erfolgreiche Umsetzung der WCAG 2.2-Anforderungen erfordert einen systematischen Ansatz, der alle Unternehmensbereiche einbezieht. Design-Teams müssen von Beginn an barrierefreie Gestaltungsprinzipien berücksichtigen, während Entwickler die technischen Standards in Code umsetzen. Content-Teams benötigen Schulungen für die Erstellung zugänglicher Inhalte, und Marketing-Abteilungen sollten die erweiterte Zielgruppenansprache strategisch nutzen[9].

Die Implementierung sollte als kontinuierlicher Verbesserungsprozess verstanden werden, nicht als einmaliges Projekt. Regelmäßige Audits mit automatisierten Tools wie WAVE, aXe oder Lighthouse Accessibility können technische Probleme identifizieren[18]. Diese automatisierten Tests müssen jedoch durch manuelle Prüfungen und idealer Weise durch Tests mit echten Nutzern ergänzt werden.

Besonders wertvoll sind Benutzertests mit Menschen mit verschiedenen Behinderungen. Diese liefern Erkenntnisse, die automatisierte Tools niemals erfassen können, und helfen dabei, die tatsächliche Nutzererfahrung zu verstehen und zu optimieren[18].

Technische Umsetzungstools und Ressourcen

Für die praktische Implementierung stehen verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. Das W3C bietet mit "Understanding WCAG 2.2" detaillierte Erläuterungen zu jedem Erfolgskriterium[19]. Die "How to Meet WCAG 2.2"-Checkliste ermöglicht eine systematische Überprüfung der Anforderungen[20].

Automatisierte Testtools haben sich als unverzichtbare Helfer etabliert. WAVE (Web Accessibility Evaluation Tool) bietet eine umfassende Analyse von Webseiten und ist sowohl als Online-Tool als auch als Browser-Extension verfügbar[18]. Google Lighthouse integriert Barrierefreiheitstests direkt in die Chrome-Entwicklertools und ermöglicht eine schnelle Erstbewertung[18].

Für die kontinuierliche Überwachung eignen sich Tools wie aXe von Deque Systems oder IBM Equal Access Checker, die sich in Entwicklungsworkflows integrieren lassen und automatisierte Tests bei jeder Code-Änderung durchführen können[18].

Die WCAG 2.2-Standards markieren einen wichtigen Meilenstein in der Entwicklung digitaler Barrierefreiheit. Unternehmen, die diese fünf wesentlichen Änderungen zeitnah implementieren, positionieren sich nicht nur rechtssicher, sondern erschließen auch neue Geschäftschancen und verbessern die Nutzererfahrung für alle Besucher ihrer Corporate Website. Barrierefreiheit ist damit von einem technischen Randthema zu einem zentralen Erfolgsfaktor moderner Webentwicklung geworden.

Kostenloses Audit Ihrer Website

Lassen Sie uns Ihre Website auf Barrierefreiheit prüfen – kostenlos und unverbindlich

Themen:

BarrierefreiheitWCAG 2.2barrierefreiheitUnternehmenDie fünf wichtigsten nderungen für Corporate Websites2 Touch-Ziele Größere Buttons für bessere Bedienbarkeit